Unerhört, unerwartet, unvergesslich: JBG-Schüler*innen gestalten Literaturpfad

„Ein schneller Kuss im Dunkeln von einem Fremden“, so umschreibt der Schriftsteller Stephen King das Wesen der Kurzgeschichte, womit er zentrale Dimensionen dieser besonders in der Gegenwart populären Literaturgattung anklingen lässt. Den inhaltlich komprimierten, jedoch keinesfalls oberflächlichen Werken wohnt das Potenzial inne, durch Brüche mit dem Gewohnten zu konfrontieren und Themen anzuschneiden, die im gesellschaftlichen Diskurs selten Gehör finden. Kurzgeschichten regen dazu an, die eigene Komfortzone zu verlassen, lang gehegte Vorurteile auf den Prüfstand zu stellen und die Schattenseiten der postmodernen Zeit in den Blick zu nehmen.

Um dieses Potenzial auszuschöpfen und zu erkennen, dass Literatur nicht nur informieren und unterhalten, sondern vielmehr auch inspirieren und berühren kann, haben sich die Schüler*innen der Klassen 10Ea und 10Eb des Johannes-Butzbach-Gymnasiums Miltenberg in einer Projektarbeit mit ihrem Deutschlehrer Jakob Link das Konzipieren, Verfassen und Veröffentlichen eigener Kurzgeschichten zum Ziel gesetzt. Dabei erstellten die Jugendlichen aufbauend auf dem im Unterricht erworbenen Wissen, getragen von Abstimmungen in den Arbeitsgruppen und gestützt von Inputs zur Gattungstheorie zunächst Skizzen, wobei sie eine Handlung entwarfen, Erzähltechniken festlegten und Figuren charakterisierten, um ein Fundament für die folgende Ausformulierung aufzubauen. Nach einer Plenumsphase, in der gemeinsam über die Wirkung von Sprache und darüber, wie sie bewusst eingesetzt werden kann, reflektiert wurde, formten die Gymnasiast*innen ihre Gedanken und Ideen zu Worten und verfassten so selbst Kurzgeschichten, welche es auf ganz verschiedene Weise schaffen, den Blick für das Außergewöhnliche im Alltäglichen zu öffnen.

Dieses Projekt unterstreicht den hohen Stellenwert, den praktisches Lernen ebenso wie Kreativität am Miltenberger Gymnasium einnehmen: Mit Deutschlehrer Link als Berater im Hintergrund erarbeiteten die Schüler*innen ihre Werke von der Konzeption bis zur ausformulierten Geschichte selbstständig, organisierten eigenverantwortlich die Arbeits- und Zeiteinteilung in ihren Gruppen, wählten passende narratologische und rhetorische Mittel aus und erwarben so wertvolle Kompetenzen für den Umgang mit Literatur und Sprache, wobei sie zugleich lernten, das im Unterricht primär für Textanalysen gebrauchte Theoriewissen praxisbezogen und produktionsorientiert einzusetzen.

Damit ein Spaziergang entlang des Rundwegs „3 im Wald“ künftig nicht nur Entschleunigung in der Natur, sondern auch Inspiration durch die Literatur bietet, übergaben die jungen Literat*innen ihre Werke am Miltenberger Rathaus an den Zweiten Bürgermeister Klaus Wolf, Förster Friedrich Schöffler und Gästeführerin Dorothea Zöller. Elf Tafeln laden seither auf dem Kunstpfad über den Dächern Miltenbergs zu einer literarischen Reise ein, die unerhörten Stimmen Raum gibt, unerwartete Konfrontationen nicht scheut und Impulse gibt, die unvergesslich bleiben.

(Jakob Link; Fotos: Evelyn Bosche)