Exkursion der Kunstkurse der Q11 nach Stuttgart
Am 22.06.23 begaben sich 34 Schülerinnen und Schüler der beiden Kunstkurse der Q11 auf eine Exkursion nach Stuttgart. Der erste Programmpunkt bestand aus einer Führung durch die Neue Staatsgalerie zum Thema „Kunst nach 1945 und Gegenwartskunst“. Nach einer anschließenden Mittagspause mit Möglichkeit zur Erkundung der Stuttgarter Innenstadt, folgte eine zweite Führung durch die Weißenhofsiedlung und das Haus Le Corbusier gegen frühen Abend. Unterstützt wurde die Exkursion durch die Bildungsstiftung der Volksbank.
Exkursionsbericht von Alicia Braband, Kurs 1ku2:
„Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Mit diesem berühmten Zitat Joseph Beuys‘ wurde unsere spannende Exkursion nach Stuttgart in die Zeit der Nachkriegs- und modernen Kunst und Architektur nach 1945 eingeleitet. Unter der Leitung unserer Kursleiter StR Simon Köhler und StRin Franziska Köhler kamen wir vormittags am 22.06.2023 in der Neuen Stuttgarter Staatsgalerie an, in der wir auf Künstler trafen, die ihre Betrachter emotional und physisch zu einem aktiven Teil ihrer Werke machten. Beginnend mit Joseph Beuys, einem der bekanntesten Nachkriegskünstler seiner Zeit und nebenbei Mitgründer der Partei der Grünen – Beuys engagierte sich überaus gewissenhaft für das Wohl der Umwelt -, wurde uns das Zusammenspiel von Künstler, Werk und Betrachter erst einmal so richtig bewusst. Mit komplexen und innovativen Werken wie „Plastischer Fuß, Elastischer Fuß“, „Kreuzigung“ oder „Vitrine“ vermittelte uns Beuys seinen Wunsch, das Publikum zum Nachdenken anzuregen. Er war überzeugt davon, dass jeder Mensch ein Künstler sei, der die Kreativität und Vorstellungskraft besäße, eigene Werke zu schaffen oder ein bestehendes Imaginativ und Interpretativ zu vollenden. Aus diesem Grund wirkt ein Großteil seiner Kunst unvollständig, um dem Einzelnen die Möglichkeit zu überlassen, das Werk selbst fortzuführen. Beuys gibt seinem Publikum jedoch nicht nur die Möglichkeit, selbst zum Schöpfer zu werden, sondern animiert es außerdem dazu, zu kommentieren und zu hinterfragen. Mit seinem berühmten Ausspruch „Ist das Kunst oder kann das weg?“ macht Beuys darauf aufmerksam, dass Kunst im Auge des Betrachters liegt und einem rein subjektiven Urteil unterliegt; nicht alles, was als Kunst betitelt ist, ist für jeden nachvollziehbar und kann und soll durchaus kritisiert werden.
Auch andere Künstler wie Oscar Schlemmer und Ulla von Brandenburg lebten von der indirekten Interaktion mit dem Publikum, wie uns unsere Museumsführerin im weiteren Verlauf der Besichtigung erläuterte. Oscar Schlemmer, der zu Lebzeiten leidenschaftlicher Theaterlehrer war, designte Kostüme, die später unter dem Titel „Das Triadische Ballett“ ausgestellt wurden. Hierbei handelt es sich um Kostüme für ein modernes und recht ungewöhnliches Ballett, das damalige traditionelle Standards förmlich sprengte. Die moderne Art der Kostümgestaltung schien neuartig und fremd. Zwar nutze Schlemmer Materialien, die häufig im Alltag zu finden sind, weshalb beim Betrachter durchaus ein Gefühl von Familiarität erweckt wird, jedoch sind die Kostüme alles andere als schlicht und maniabel. Durch die Verwendung von Holz und Metall wird das Kostüm recht schwer, unhandlich und sperrig, was die Bewegungsfähigkeit deutlich einschränkt. Auch die Mengen an gefüttertem Stoff scheinen für den Tänzer damaliger Zeit recht unangenehm gewesen zu sein. Vorteilhaft an diesem ungewöhnlichen Design jedoch ist seine Einprägsamkeit und die Möglichkeit, sich als Betrachter in die Situation der Balletttänzer hineinzuversetzen. Damit kann das Publikum mit dem Kunstwerk interagieren und steht nicht nur still betrachtend davor.
Auch Ulla von Brandenburg, die „Das Triadische Ballett“ adaptierte und in ihrem eigenen Werk „Maskiert und vor allem – verschwiegen“ integrierte, lebte davon, den Betrachter mit bewusster Irritation anzusprechen. Konzentrierte man sich auf die Details der Installation von Brandenburgs, so fiel einem auf, dass die Schatten, die auf der gelben Leinwand zu sehen waren, nicht der Realität entsprachen, sondern aufgemalt waren. So kam es dazu, dass der eine Teil des Werks drei Schatten warf und scheinbar aus dem Nirgendwo Personen an der Wand zu sehen waren, die es in der Installation selbst nicht gab. Sie waren lediglich in dem Stummfilm zu sehen, der mittig an die Leinwand projiziert wurde. Von Brandenburgs Werk schien recht unheimlich, bestärkt dadurch, dass die Kostüme der Statisten an einem Strick von der Decke hingen – die Frage, ob diese Assoziation gewollt war oder nicht, bleibt offen. Jedenfalls wird auch hier abermals klar, dass es für ein Kunstwerk mehrere Interpretationsansätze gibt.
Nachdem die Führung durch die Neue Stuttgarter Staatsgalerie beendet war, besuchten wir schließlich in den Nachmittagsstunden die berühmte und für die moderne Architektur außerordentlich wichtige Weißenhofsiedlung. Nach Angaben unserer Kursleiter war die Besichtigung des Weißenhofmuseums im Haus Le Corbusier ein Vorausblick in die 12. Klasse und deshalb nicht nur für die moderne Architektur selbst, sondern auch für uns als Schüler von großer Bedeutung.
Bei der Weißenhofsiedlung handelt es sich um ein Projekt, das 1927 im Rahmen einer Bauausstellung entstanden ist. Ziel dieser Ausstellung war es, innovative und zukunftsorientierte Entwürfe für modernes Wohnen zu entwickeln. Dabei richteten sich 17 Architekten – darunter weltweit bekannte Architekturgenies wie Walter Gropius, Hans Scharoun und Le Corbusier – nach Kriterien wie Funktionalität und finanzielle Erschwinglichkeit und errichteten insgesamt 33 Wohngebäude, von denen nur das Haus Le Corbusiers betreten werden darf. Einige der Gebäude wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört und andere werden noch immer vermietet.
Mit der Weißenhofsiedlung betrat Deutschland neuartigen Boden; neben traditionellen Fachwerkhäusern wurden nun auch Häuser gebaut, die aus minimalem Raum maximale Nutzbarkeit herausholten. Dadurch war es nicht unüblich, dass der Grundriss sehr verschachtelt war, dass sich direkt neben der Küche das Badezimmer befand oder dass endlich jedes Stockwerk eine eigene Toilette erhielt. Begeistert sind nicht nur Besucher der Gegenwart, sondern bereits zu Zeiten der Erstausstellung reisten 500.000 Menschen aus aller Welt an, um sich die Zukunft des Häuserbaus auf der Zunge zergehen zu lassen. Mit der Weißenhofsiedlung wurde eine Ära moderner Architektur eingeleitet, die noch immer Bestand hat.