„Vom Jungpionier zum Staatsfeind“

Zeitzeugenvortrag am Johannes-Butzbach-Gymnasium

Am Donnerstag, dem 20.2. erlebten die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 10 bis 12 des Johannes-Butzbach-Gymnasiums eine Geschichtsstunde der besonderen Art. Lutz Quester berichtete in einem spannenden Zeitzeugenvortrag von seiner Kindheit und Jugend in der DDR sowie seinem Protest gegen das SED-Regime.

Geboren 1958 in Dresden bemerkte Lutz Quester als Jugendlicher und junger Erwachsener mehr und mehr, wie sehr das DDR-Regime sein Leben bestimmte und seine Freiheit einengte. Nach verschiedenen Aktionen des zivilen Ungehorsams wurde die STASI ab Mitte der 1980er Jahre auf ihn aufmerksam, sodass er ständig eine Verhaftung befürchten musste. 1984 entschloss er sich, in Ost-Berlin eine Inhaftierung als politischer Gefangener herbeizuführen. Bewusst provozierte er den DDR-Staatsapparat, indem er ein Schild mit einer Ausreiseforderung für sich und seine junge Familie vor der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin enthüllte, was natürlich von den Kameras der Staatssicherheit, die vor dem Gebäude installiert waren, aufgezeichnet wurde.

Diese Aktion stellte für ihn die einzige Chance auf ein Leben in Freiheit dar, zu der es nach knapp einem Jahr im Rahmen eines Häftlingsfreikaufs durch die Bundesrepublik kam. Doch zuvor wurde er für ein Jahr in fünf verschiedenen Gefängnissen inhaftiert, wo der den Psycho-Terror der speziellen STASI-Verhörmethoden und -Haftbedingungen überstehen musste. In der Einzelhaft, so Quester, habe er gelernt, nie aufzugeben: „Für den Schritt über die Inhaftierung in die Freiheit – für das Recht auf Freiheit für mich und meine junge Familie – bedurfte es eines großen Selbstvertrauens, Angstüberwindung und Chancenerkennung.“

Beeindruckend führte Lutz Quester den Jugendlichen vor Augen, wie massiv das DDR-Regime damals in das Alltagsleben ihrer Bürger eingriff. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgten die rund 180 Schüler in der vollbesetzen Aula seine spannenden Ausführungen und staunten über die mitgebrachten Erinnerungsstücke, wie etwa ein selbstgebautes Radio, mit dem er verbotenerweise West-Radio gehört hatte, oder auch eine Replik des Plakates, das damals zu seiner Verhaftung geführt hatte. Aber der Referent berichtete den Schülern nicht nur aus der Vergangenheit, sondern gab ihnen auch einen eindrücklichen Appell mit auf den Weg: „Die ganze Welt beneidet euch um unser Land und seine politische Ordnung, in der ihr heute leben dürft. Setzt euch dafür ein, dass euch diese Freiheit erhalten bleibt!“

Organisiert wurde der Vortrag durch die Fachschaft Geschichte, den Freundeskreis des Gymnasiums und die Hanns-Seidel-Stiftung.


(Christoph Grein)

Fotos: Franziska Köhler